INTERVIEW: Thomas Sellner

Thomas Sellner, geboren 1978 in Bremervörde, hat schon immer viel gespielt. Als Kind/Jugendlicher hat er bereits Computerspiele programmiert und Brettspiele gebastelt. Er hat eine Ausbildung als Fachinformatiker gemacht, danach hat Thomas in Bremen Medieninformatik studiert und ist nun Softwareentwickler für Browser- und Handy-Spiele in Hamburg. Zu Sellner selbst: Er hat 3 Brüder, seine Ehefrau und 2 Kinder, mit denen er sehr gerne spielt. Thomas entwickelt gerne Spiele mit dem Schwerpunkt: einfach, interaktiv und kurzweilig. Das entspricht auch genau seinem Geschmack. Seine Motivation zur Spieleentwicklung ist es, Menschen an einen Tisch zu bringen, um dort spannende Entscheidungen zu treffen und witzige Situationen zu erleben.

Wir haben Thomas einige Fragen gestellt:

  • Tails on Fire. Box rechtsWie alt warst du, als du deine Liebe zur Spieleentwicklung entdeckt hast?
    Ich habe schon in jungen Jahren damit angefangen, Video- und Gesellschaftsspiele zu entwickeln. Diese habe ich für meine Brüder, mich oder meine Schulfreunde entwickelt. Es hat mir schon immer unglaublichen Spaß bereitet, wenn andere Menschen durch meine Spiele eine schöne Zeit haben. Das ist auch noch immer mein Antrieb. Das erste Spiel, mit dem ich auf einen Verlag zugehen wollte, war eine Carcassonne Variante. Das muss ca. 2005 gewesen sein. Ich kann mich jedoch gar nicht mehr erinnern, ob ich damals wirklich Kontakt zu Hans im Glück hatte. Ca. 2011 hatte ich eine neue Roll ’n‘ Write Carcassonne Variante, die ich auf der SPIEL tatsächlich Hans im Glück vorgestellt habe. So richtig angefangen, auf viele Verlage zuzugehen, habe ich 2018. Ich hatte einen Prototyp, der so gut im Freundeskreis ankam, dass ich jetzt einfach loslegen musste.
  • Hast du dich von anderen Entertainment Möglichkeiten inspirieren lassen, beispielsweise der Videospiel-Branche?
    Ich glaube, das ist nicht so der Fall. Videospiele haben ihre Stärken, wenn es um die Abwicklung von komplexer Logik, das Bereitstellen von Daten und die Darstellung von Spielsituationen in Echtzeit geht. Gesellschaftsspiele sind dort im Vorteil, wo Kommunikation und Interaktion am Tisch im Vordergrund sind. Beispiel: Bei der digitalen Umsetzung von Catan ist der Kartenhandel zwischen den Spielern super umständlich. Die Eingabe von Angebot und Nachfrage ist frickelig. Im echten Leben, am Tisch, verhandelt und feilscht man einfach. Das funktioniert deutlich besser. Ein anderes Beispiel, wo das Videospiel einfach stärker ist: Ich habe z.B. 7 Wonders Duell nur ein einziges Mal als Brettspiel gespielt, danach nur noch als Videospiel. Die digitale Version rechnet mir alle Kosten aus und stellt sie übersichtlich dar. So kann ich mich um die eigentlichen Entscheidungen kümmern, anstatt die ganze Zeit rechnen zu müssen. Jetzt habe ich zwar die Frage nicht wirklich beantwortet, aber immerhin offengelegt, welche Mechaniken oder Abläufe ich mir für ein neues Spiel aussuche und um welche ich einen großen Bogen mache.
  • Was ist dein Lieblings-Videospiel und weshalb?
    Ok, aus dem Bauch heraus: Super Mario Kart auf dem Super Nintendo von 1992. Weshalb? Ich spiele es noch immer regelmäßig mit meinen Brüdern. Es ist der perfekte Mix aus Skill und Glück. Auch nach 30 Jahren passieren noch immer unglaubliche Dinge, die man vorher noch nicht erlebt hat. Kein Spiel erzeugt solch immense Glücksgefühle und regt mich gleichzeitig so sehr auf, dass schon ein paar Controller dabei draufgegangen sind …
  • Wir sind ja bereits beim Thema Lieblingsspiele. Verrätst du uns auch dein Lieblingsbrett- oder -kartenspiel?
    Das ist so schwierig. Es kommt immer total auf die Gruppe an. Deshalb weiche ich ein wenig aus und zähle ein paar Dauerbrenner auf, die mit den richtigen Mitspielern einfach der Knaller sind: Mit List und Tücke, Brügge, Catan, Just One und For Sale. Und um ehrlich zu sein: Meine eigenen unveröffentlichten Spiele, die mir gerade im Kopf herumschwirren. 🙂
  • Welches Spiel hat dich am meisten beeinflusst, Brett- und Kartenspiele zu entwickeln und mit der Welt zu teilen?
    Der Stein bzw. die Steine des Anstoßes waren die tollen Spielsteine von Azul. Wie vorhin schon berichtet, hatte ich 2018 ein Prototyp, mit dem alles losging. Die Idee für dieses Spiel entstand, als ich mit dem Azul Material herumspielte, bis ich Heureka ausrief. Ich möchte aber auch noch Carcassonne erwähnen, welches mich mehrfach inspiriert hat, selbst eine Variante zu entwickeln.
  • Woher kamen deine Ideen zu Tails on Fire, da diese Mischung ungewöhnlich ist?
    Vor ca. 10 Jahren stellte ich mir die Frage, warum ein Skat- oder Poker-Kartenspiel eigentlich aus Zahlen, sowie Bube, Dame, König und Ass besteht. Anstatt zu googeln, kam ich auf die Idee ein Spiel zu entwickeln, in welchem diese Personen tatsächlich verschiedene, passende Rollen einnehmen. Daraus wurde dann ‚LUDE‘, welches ich sehr viel mit Freunden spielte. Die Grundidee, die letzte Karte spielen zu müssen, um zu gewinnen, war mit diesem Spiel geboren. Als ich dann 2018 damit begann mit vielen Verlagen zu sprechen, kramte ich dieses Spiel wieder heraus und erweiterte es um den Klau-Mechanismus und nannte es ‚Taler Taler‘.
  • Was waren die Hürden bei der Veröffentlichung deines Spiels und wie hast du diese überwunden?
    Ich glaube die größte Hürde ist es, als unbekannter Autor einen Verlag zu überzeugen. Bisher hatten nur sehr kleine Verlage Interesse an meinen Prototypen. Das soll nicht heißen, dass ich keinen Kontakt zu größeren Verlagen hatte. Ich war sehr positiv überrascht, wie relativ einfach es war, Termine mit etablierten Verlagen abzumachen. Ich wurde auch überall sehr freundlich empfangen und habe viele, tolle Redakteure kennen gelernt. Trotzdem glaube ich, dass man als Neuling erst einmal einen besonders langen Atem und viel Geduld haben muss. Außerdem war es in den letzen Jahren aufgrund der Pandemie sehr schwierig, die Prototypen in verschiedenen Spielegruppen zu testen. Ohne Feedback von Spielern hängt man sehr in der Luft und hat Schwierigkeiten, sein Spiel weiter zu entwickeln.
  • Wie lange hast du an Tails on Fire herum getüftelt, um es zu seinem jetzigen Charme zu bringen?
    Wie oben schon beschrieben, hat es ein paar Iterationen gebraucht. Außerdem wurde es von HeidelBÄR bzw. von Roland noch auf Herz und Nieren geprüft und weiterentwickelt.
  • Da wir bereits über Tails on Fire reden. Wie fühlt es sich an, sein erstes Spiel beim renommierten HeidelBÄRen zu veröffentlichen?
    Das fühlt sich sehr gut an. Ich freue mich wahnsinnig auf die Reaktionen der Spieler. Ich bin super dankbar, das Vertrauen bekommen zu haben. Außerdem bin ich super froh, wie wunderschön das Spiel geworden ist.
  • Wie gefällt dir das Thema Leguane und Opossums, die dem Spiel eingehaucht wurden?
    Ich finde es richtig gut und bin immer wieder überrascht, welche spannenden Märchen es noch zu entdecken gibt. Ich habe mir sofort das Märchenbuch bestellt. Das Universum hat auch sein Ok gegeben, denn meine Frau ist zufällig Opossum Fan. 🙂
  • Wie sehr hat dir die Zusammenarbeit mit HeidelBÄR Games gefallen?
    Ich bin sehr zufrieden, es hätte kaum besser laufen können. Mein Spiel und ich wurden mit offenen Armen empfangen. Es war sicherlich keine einfache Zeit, da sie sehr von Corona geprägt wurde. Trotzdem hatten wir regelmäßig Kontakt und es wurde immer daran gearbeitet, das Spiel zu verbessern. Die Qualität des entstandenen Spiels ist einfach top.
  • Hat das Entwickeln von Spielen deine Perspektive zur Welt der Brett- und Kartenspiele verändert?
    Ich spiele viel weniger Spiele als früher :D. Das mag aber daran liegen, dass ich mittlerweile zweifacher Vater bin. Aber nicht nur, denn wenn ich früher einfach gespielt habe, tüftele ich jetzt an meinen Prototypen. Wo ich früher über Messen gelaufen bin, um neue Spiele zu kaufen, habe ich jetzt Termine, um meine Spiele zu „verkaufen”. Trotzdem kenne ich natürlich die großen Hits, schaue mir viele neue Spiele an und freue mich über Innovationen. In meinen Eigenentwicklungen lege ich Wert darauf, etwas wirklich Neues zu erschaffen. Gleichzeitig ist mein Respekt vor Autoren, von komplexen Spielen, gestiegen. Es ist aufwändig genug, einfach Spiele mit relativ wenig Material zu testen und zu perfektionieren. Ich kann mir gar nicht ausmalen, wie viel Zeit in ein Kennerspiel fließen muss.
  • Hast du Vorbilder?
    Ich glaube nicht. Es gibt auf jeden Fall Autoren, die ich genauer beobachte und bei denen ich gespannt bin, was als nächstes kommt. Dazu gehören Stefan Feld, Friedemann Friese und Uwe Rosenberg. Witzigerweise spiele ich aber relativ wenig Spiele von den dreien. Brettspiele inspirieren mich, wenn sie mit wenig Material und einfachen Regeln ganz neue Interaktionen und Spielsituationen schaffen. Dixit, The Mind und Just One sind schöne Beispiele dafür.
  • Hast du bereits Pläne für deine nächste Veröffentlichung und gibt es da schon
    etwas, von dem du erzählen kannst?
    Es gibt mehrere Spiele, die bei verschiedenen Verlagen oder Agenturen auf ihre Veröffentlichung warten. Auch auf der SPIEL22 werde ich wieder neue Spiele bei Verlagen herumzeigen. Ich würde liebend gerne davon berichten, aber da müsst ausnahmsweise ihr euch leider ein wenig gedulden. 😉

September, 2022