INTERVIEW: Zoltán Győri

Zoltán Győri (Győri Zoltán Gábor), geboren 1986 in Budapest, ist ein ungarischer Brettspielautor und Performer. Seit 2012 entwirft und rezensiert er Brettspiele. Im Jahr 2017 startete er ein Youtube-Vlog über Brettspiele mit dem Titel ’Mit Játsszunk?’ (Was spielen?). 2018 erschien sein erstes offiziell veröffentlichtes Spiel Igen? (Ja?), ein echter Partyspiel-Hit in seinem Heimatland. Jetzt veröffentlicht HeidelBÄR Games sein nächstes Spiel Spicy, ein cleveres Kartenspiel mit Bluff.

Wir haben Zoltán einige Fragen gestellt:

  • Ungarn ist ein Land, das für seine reiche Geschichte bekannt ist, aber über seine Brettspielgeschichte wissen wir hier kaum etwas. Kannst du uns ein wenig über die Brettspielkultur in Ungarn erzählen?
    Tatsächlich haben sich in Ungarn seit den 1990er Jahren einige Brettspielgemeinschaften gebildet, die immer noch aktiv sind. 2001 wurde der erste klassische Brettspielverlag Ungarns, Gémklub Kft., gegründet. Der wirklich große Aufschwung des Brettspiel-Hobbys begann dann 2010 und seine Verbreitung steigt bis heute exponentiell an. Obwohl die breite Öffentlichkeit meiner Erfahrung nach nur die klassischen Titel kennt, verlangen Millennials und die Generation Z nach immer mehr Spielen. Das Interesse an Spielen ist sowohl bei Kindern, Jugendlichen als auch bei Familien sehr groß. Es gibt viele engagierte Menschen, welche die Brettspielkultur vorantreiben: Es gibt großartige Spieleentwickler, die immer bekannter werden, Verleger, die Spiele aus der ganzen Welt auf unsere Tische bringen, Brettspielcafés sowie immer mehr Blogs und Fachforen.
  • Deinen offiziellen Einstieg in die Welt der Brettspiele hattest du als Vlogger. Kannst du uns zuerst etwas über deinen Youtube-Kanal erzählen?
    Ich habe erst 2011, als Erwachsener, angefangen intensiv Brettspiele zu spielen. Meine Frau Reka und ich spielten jeden Tag, und je mehr Spiele wir spielten, desto neugieriger wurden wir auf andere. Diese Liebe dauert bis heute an; die kulturelle Mission unseres Vlogs ist es, mehr Menschen in Ungarn zu vermitteln wie viel Spaß Brettspiele machen.

    Als wir im Januar 2017 den ‚Was spielen?‘-Kanal starteten, gab es dafür kein vergleichbares Vorbild. Wir begannen mit lustigen, humorvollen Inhalten, doch unser Ziel war und ist es immer noch Brettspiele zu fördern. Je mehr Videos wir veröffentlichten, desto mehr ungarische Verleger wandten sich an uns und baten uns, auch ihre Spiele zu präsentieren. Wir erstellen eine Vielzahl von Inhalten; von kurzen Spielübersichten, Themen-Listen, Vorträgen über Spielpsychologie, Spieltipps, Unboxing-Videos, bis hin zu Walkthroughs … Was spielen? wird dieses Jahr 3 Jahre alt und ist nun ein integraler Bestandteil meines Lebens zusammen mit meiner Frau: ein echtes Herzensprojekt.
  • Wie kam es zu dem Schritt vom Spielejournalismus zur Spieleentwicklung?
    Tatsächlich begann ich viel früher Brettspiele zu entwickeln als Videos zu machen. Ich entwickle bereits seit sechs Jahren Spiele. Das geschah ganz natürlich; ich konnte nicht anders als über Spiele nachzudenken. Als kreativer Mensch trug meine zunehmende Erfahrung beim Spielen einfach ihre Früchte. Ich denke wo Erfahrung und Kreativität zusammenkommen entstehen Ideen.
    Im Vergleich dazu war der Launch des Vlogs eine geistige Herausforderung. Es fiel mir schwer das erste Video zu machen, weil ich sehr kritisch war. Rückblickend lache ich natürlich darüber, aber ich bin sehr froh, dass wir das Video dank der Ermutigung vieler meiner Berufskollegen und enger Freunde schließlich doch veröffentlichten. Seither arbeiten wir daran, den Kanal weiterzuentwickeln und seine Qualität zu verbessern.
  • Hast du Vorbilder was Brettspiele oder Spieleautoren betrifft?
    Meine Lieblings-Brettspiel-Autoren sind Bruno Cathala und Reiner Knizia. Sie sind wahre Großmeister, aber ich könnte noch viele weitere Vorbilder nennen. Meine Leitspruch ist ‚Weniger ist mehr‘, denn als Autor bevorzuge ich Klarheit und kurze, aber ausgereifte Regeln. Meine Motivation gilt vor allem Party- und Familienspielen. Ich will Spiele für ein breites Publikum machen, denn Brettspielen ist ein Hobby für alle.
  • Was ist dein Brotberuf? Glaubst du, eines Tages von deiner Arbeit in der Brettspielbranche leben zu können und willst du das überhaupt?
    Tatsächlich habe ich das große Glück sagen zu können, dass sich mein ganzes Arbeitsleben um Spiele und Spielerisches dreht. Ich habe mehrere Jobs: Ich bin freiberuflicher Schauspieler (hauptsächlich in einem Improvisationstheater, aber ich arbeite auch in Filmen und Stand-Up-Shows), ein Youtube-Vlogger, ein Geschäfts- und Lebensberater und auch ein professioneller Brettspielautor. Ich habe ein sehr vielfältiges Unternehmerleben und ich liebe es.
  • Dein erstes Spiel Igen? ist eines der Top-Partyspiele in Ungarn (auch wenn es im Rest der Welt noch unbekannt ist). Wie reagierst du, wenn du zu einem Spieleabend kommst und die Leute dein Spiel spielen?
    Als ich zum ersten Mal bei einer Veranstaltung mein eigenes Spiel auf dem Tisch sah, war das schon ein emotionaler Moment. Ich war unbeschreiblich stolz und dankbar dafür, dass Fremde damit spielten – sie plauderten, lachten und ich sah, dass es ihnen Freude bereitete. Diese Momente, in denen man sieht, dass der beabsichtigte Spielspaß tatsächlich eintritt, geben mir das Gefühl, dass die investierte Arbeit sich wirklich auszahlt.
  • Beeinflusst die Entwicklung von Spielen die Art und Weise wie du als Journalist an Brettspiele herangehst?
    Natürlich gehen diese beiden Rollen Hand in Hand: Ich lerne und entwickle mich durch diese beiden sich gegenseitig verstärkenden Aspekte weiter. Als Autor betrachte ich Spiele natürlich anders als ein klassischer Spieler und ich bekomme viel Feedback. Diese langjährige Erfahrung des Entwickelns und die extrem intensive Beschäftigung mit Spielmechanismen wirken sich natürlich auch auf die Art aus wie ich über Spiele spreche.
  • Promotest du deine eigenen Spiele über die sozialen Medien? Fällt es dir leichter oder schwieriger über deine eigenen Spiele zu sprechen?
    Darüber haben wir viel mit dem Verleger und meiner Frau gesprochen, als die Spiele herauskamen. Es würde sich wie eine verpasste Gelegenheit anfühlen, wenn ich online nicht über sie sprechen würde. Ich denke, die beiden Seiten ergänzen sich, aber es gibt eine heikle Grenze und natürlich gemischte Gefühle, wenn ich über meine eigenen Spiele spreche. Einerseits ist es sehr einfach, weil ich sie sehr gut kenne. Andererseits ist es schwierig, weil sie für mich sehr wichtig sind; es steckt harte und intensive Arbeit dahinter. Es gibt viele Aspekte der Vlogger- und Spieleautoren-Arbeit, die Außenstehende nicht sehen. Oftmals entstehen Spiele trotz ihrer Leichtigkeit in jahrelanger, beharrlicher Arbeit, sodass es schwierig ist, unvoreingenommen und dennoch professionell über sie zu sprechen.

  • Reden wir also über Spicy: Was war die Idee hinter diesem Spiel, und wie hat sich die endgültige Version daraus entwickelt?
    Bei Spicy war es mein Ziel, ein sehr einfaches, leichtes Party-Kartenspiel zu entwickeln, das einen Twist zum klassischen Bluffmechanismus enthält. Ich wollte einen Mix mit einem bekannten Mechanismus, um Neulinge anzulocken, der aber auch für taktikliebende Gruppen genug Tiefe enthält. Verglichen mit dem ersten Konzept ist das letztendliche Spiel eine wesentlich verbesserte, klarere Version, aber diese Essenz blieb erhalten.
  • Wie kam es dazu, dass dein Spiel vom deutschen Verlag HeidelBÄR Games veröffentlicht wird?
    Durch eine freundliche Vermittlung. Vor Jahren habe ich Gémklub Kft., einem großen Entwicklerstudio in Ungarn, mehrere meiner Spielideen gezeigt, darunter Igen? und einen Prototyp namens Bad Kitty. Igen? wurde national verlegt, aber in Bad Kitty sah der Geschäftsführer des Gémklubs, Zoltán Aczél, so viel Potenzial, dass er es bei einem Treffen auf der SPIEL 2017 in Essen den deutschen Berufskollegen zeigte. Es begann eine lange Entwicklungs- und Testphase, aus der schließlich das Spiel Spicy hervorging.
  • Das Design des Spiels ist sehr speziell. Hattest du erwartet, dass der Verlag so etwas Ausgefallenes vorschlagen würde? Gefällt es dir?
    Ich war sehr überrascht, als ich die Entwürfe zum ersten Mal sah, denn das visuelle Design wirkte doch sehr fremd für meine an klassische Illustrationen gewöhnten Augen. Ich fürchtete, dass es gemischte Gefühle hervorrufen würde, aber gleichzeitig gefiel es mir auch. Vermutlich war ich zuerst ein wenig besorgt, aber dann verliebte ich mich plötzlich in die Gestaltung und ich jetzt kann ich mir keine andere mehr vorstellen. Wild, extravagant, und sie hebt sich von der Masse ab, was ich in diesen Tagen für sehr wichtig halte. Ich bin sehr dankbar für die mutige und coole Entscheidung der HeidelBÄRen für dieses Spiel einen so ungewöhnlichen Weg zu riskieren. Die fantastische Grafiken der Illustratorin Jimin Kim heben das Spielerlebnis auf eine neue Ebene.
  • Spicy hat es neulich auf die Empfehlungsliste des Spiel des Jahres 2020 geschafft. Wie hast du das gefeiert? Und hat dieser wichtige Preis bereits irgendwas für dich verändert?
    Es war unglaublich und eine wahre Freude, das zu hören. Einer meiner Freunde sagte mir, ich solle mir den Spiel des Jahres-Stream JETZT live auf Facebook ansehen, weil Spicy auf dem Tisch für die Auswahlliste steht. Ich war sehr aufgeregt, glücklich und bin immer noch stolz. Das ist ohne Frage eine große Ehre und es macht mich zufrieden, zu wissen, dass die professionelle Jury mein Spiel geliebt hat.
    Ich habe mit vielen vielen Spiele-Partys gefeiert. 🙂 Danach habe ich ein paar Interviews zu diesem Erfolg gegeben. Und jetzt bin ich wirklich motiviert, in Zukunft mehr zu arbeiten und neue wunderbare Spiele zu machen.
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  • Hast du vor in Zukunft auch Videos auf Englisch zu drehen, da deine Spiele jetzt auch international veröffentlicht werden?
    Dieses Thema beschäftigt uns schon lange, aber bis auf weiteres bleiben wir ein ungarischsprachiger Kanal. Als Vlogger ist es unser primäres Ziel, Brettspiele in Ungarn zu promoten. Es ist also nicht geplant, englische oder deutsche Inhalte zu produzieren, aber wer weiß schon, was das Schicksal bringt? Sag niemals nie.

Juni, 2020.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Machaczek