Interview: Alex Schreiber (Time Division)

Alexander Schreiber, geboren 1986 im rheinland-pfälzischen Landstuhl, studierte Politikwissenschaft in Mainz und arbeitet seither als freiberuflicher Nachhilfelehrer (v.a. für Mathematik) – zunächst in Berlin und seit 2020 in Weimar. Nach eigenem Bekunden hat er zu viele Hobbys: Poesie, Mathematik, Wandern, Football und natürlich Brettspiele. Seine ersten Spiele hat er tatsächlich im Kindergarten entwickelt – allerdings waren dies ganz herkömmliche Würfellaufspiele. Aber eine Neigung zu diesem Hobby war also schon früh bei Alex angelegt. Zu einer echten Leidenschaft wurde diese Neigung jedoch erst in der späten Jugend und seit etwa drei Jahren geht er dieser Neigung mit größerer Ernsthaftigkeit nach. Das erste Ergebnis daraus ist das strategische Kartenspiel Time Division, das am 30.09. bei HeidelBÄR Games erscheint.

Wir haben Alex einige Fragen gestellt:

  • 1. In Time Division gibt es bekanntlich drei verschiedene Zeitalter, in denen sich die Spieler duellieren. Hast du ein Lieblingszeitalter oder sogar eine Lieblingskarte?

Das ist ja fast, als müsste man sein Lieblingskind auswählen. 😉

Ich mag natürlich alle drei Zeitalter aus ganz unterschiedlichen Gründen, weil sie sich auch alle so unterschiedlich spielen. Aber unter uns kann ich verraten, dass ich dann doch vom Gameplay her das dunkle Mittelalter am interessantesten finde, da es so unberechenbar ist. Wenn man in der Drafting-Phase ein gutes Gespür dafür hat, wie die Partie verlaufen könnte, kann man sich ein brutal starkes Deck zusammenstellen. Falls man sich aber verschätzt, geht der Schuss ganz schlimm nach hinten los. Daher sollte man sich sicherlich erst einmal ein paar Partien im alten Ägypten aufhalten, um sich mit dem Spiel vertraut zu machen, bevor man sich an dieses Zeitalter wagt.

  • 2. Wieso hast du dich für die drei Zeitalter (Ägypten, Mittelalter und
    80er) entschieden und gab es noch weitere Zeitalter, die zur Auswahl
    standen?

Tatsächlich hatte ich ursprünglich eine andere Auswahl an Zeitaltern im Sinn: Mittelalter, römisches Reich und Renaissance. Dann hatte der Verlag aber das Gefühl, dass das römische Reich und Renaissance thematisch vielleicht nicht so zugänglich sind, weil nur wenige Spieler etwas mit einem Aedil (Anm. d. Verf.: Die Ädilen bekleideten ein niederes Amt der Ämterlaufbahn der römischen Republik. Sie wurden jeweils auf ein Jahr gewählt). anfangen können. Im Verlag wurde dann viel überlegt, welche Zeitalter evtl. besser geeignet wären. Und ja, da gab es die verschiedensten Ideen. Letztendlich wurde dann aus dem ursprünglichen Mittelalter-Set das alte Ägypten, das römische Reich wurde zum Mittelalter und die Renaissance ging in die 80er über. Mit dieser Lösung bin ich auch sehr zufrieden, weil die jeweiligen Themen gut zum Gameplay der Sets passen: Im alten Ägypten mit seinen relativ klaren Hierarchien ist das Spielgeschehen ein wenig übersichtlicher und nicht ganz so überraschend wie in den anderen Zeitaltern, weswegen es auch der perfekte Einstieg ist. Im Mittelalter waren Machtverhältnisse ja nicht mehr ganz so eindimensional. Nominell stand in vielen Ländern der König an der Spitze, aber da gab es so viele andere Akteure, die eine Gegenmacht darstellten oder sich der königlichen Herrschaft entziehen konnten: Adel, Klerus, Städte, nichtstaatliche Organisationen wie z.B. Gilden oder die Hanse. Das war eine unübersichtliche Gemengelage, was sich in dem wilden Gameplay des Sets widerspiegelt. Und die 80er Jahre gelten ja oft als stark hedonistisch und materialistisch ausgerichtet. Da finde ich es natürlich passend, dass es einige Karten gibt, mit denen man richtig viele Punkte machen kann.

  • 3. Sind weitere Erweiterungsdecks aus anderen Zeitaltern mit anderen
    Gameplaymechaniken für die Zukunft geplant?

An neuen Ideen für Zeitalter mit ganz unterschiedlichem Gameplay mangelt es mir nicht. Da sind tatsächlich ein paar in meiner Schublade – ich kann auch nicht einfach aufhören, an einem Spiel zu arbeiten, wenn es mir Spaß macht. Und das Spiel nötigt einen Entwickler ja geradezu, weitere Decks zu basteln. Ob es auch zu Erweiterungen kommt – das liegt dann nicht mehr in meiner Hand. Aber ich würde es dem Spiel wünschen.

  • 4. Time Division ist zwar ein kurzweiliges aber auch sehr strategisches Kartenspiel. Wie bist du auf die Idee für die Mechanismen gekommen und welcher Mechanismus war zuerst da?

Diese Spielidee hatte eine merkwürdig schnelle Geburt. In der Regel ist es so, wenn ich eine neue Spielidee entwickle: Am Anfang habe ich einen Einfall für einen Mechanismus, den ich zuerst ganz toll finde, bevor ich merke, wie viele Probleme damit verbunden sind. Dann versuche ich all diese Probleme zu lösen und erkenne, dass es zu fast jeder Lösung ein Problem gibt. Das führt dann meist zu einem monatelangen Gedanken-Pingpong, ehe die Idee für ein Testspiel bereit ist.

Ganz anders bei Time Division – vermutlich weil es mit ganz wenigen Regeln auskommt: Die Idee, sowohl für das Drafting, als auch für das Ausspielen der Karten (dass also nur ein Spieler seinen Effekt nutzt und der andere Spieler Siegpunkte erhält), kam mir – ich weiß nicht, aus welcher Gehirnwindung – in einem Guss. Sofort waren mir auch viele der Karteneffekte des ersten Sets klar. Ich musste mich dann nur noch entscheiden, wie bestimmt werden soll, wer die Punkte erhält und wer den Effekt auslösen darf. Der Spieler, der die erste Karte spielt? Die Spielerin, die die zweite Karte spielt? Der Spieler mit der höchsten Karte bekommt die Punkte? Oder doch den Effekt? Aber bei der Entscheidung haben mir die bereits bestehenden Karteneffekte geholfen und daher hat es vielleicht fünf oder zehn Minuten gedauert, bis feststand: Wer die höhere Karte legt, entscheidet, wer Punkte bekommt und wer seinen Effekt nutzt.

  • 5. Wie oft musstest du die Mechanismen testen, bis sie ausgereift waren?

Auch dahingehend war Time Division ungewöhnlich handzahm zu mir. Der Spielspaß war von Anfang an hoch. Lediglich gab es bei den ersten paar Tests noch kleinere Problemchen, die durch Interaktion bestimmter Karteneffekte hervorgerufen wurden. Aber nachdem ich diese behoben hatte, war im Prinzip klar, dass das Spiel so funktioniert. Wir haben es trotzdem noch viele Male getestet – gar nicht, weil wir das Gefühl hatten, zu müssen, sondern weil wir einfach Freude daran hatten. An der Stelle ein herzliches Danke an alle Freunde und Familienmitglieder, insbesondere an meine Freundin und meinen besten Freund, die mich dabei so lieb unterstützt haben! Insgesamt kam ich dann doch schon auf eine hohe Zahl an Testpartien – auch weil wir ja mehrere Sets getestet haben. Genau weiß ich es allerdings nicht.

  • 6. Wie gehst du an die Spieleentwicklung allgemein ran? Was treibt dich
    dabei an?

Es ist schwierig, den eigenen kreativen Prozess zu beschreiben, weil wohl viel davon im Unterbewussten stattfindet. Aber wobei ich mir ziemlich sicher bin: Bei mir fängt es oft mit einem Gefühl an. Das kann z.B. ein Gefühl sein, das beim Spielen eines bestimmten Brettspiels vordergründig war. Dann komme ich vielleicht mit dem Wunsch vom Spieleabend nach Hause, auch so ein herrlich hinterhältiges Spiel machen zu wollen – aber mit Set Collecting Mechanismus – oder mit Bluff-Elementen. Oder das Gefühl, das sich einstellt, wenn man die Mietpreise einer deutschen Großstadt im Blick behält und man sich fragt, was so einen Immobilienspekulanten eigentlich antreibt und in welchen Bahnen er denkt. Dann würde ich es gerne auf einem Brett haben, vielleicht auch nur, um es besser verstehen zu können. Jedenfalls entwickelt sich oft aus einem solchen Gefühl heraus die Idee für einen Mechanismus und dann beginnt das vorhin bereits beschriebene Gedanken-Pingpong.

  • 7. Hast du Vorbilder, wenn du an andere Spieleautoren denkst?

Vorbilder in dem Sinne, dass ich mich bewusst an jemandem orientieren würde, habe ich wohl nicht. Aber es gibt natürlich weitaus mehr Spieleautoren, deren Arbeit ich schätze, als ich auflisten kann: Donald X. Vaccarino, Elizabeth Hargrave, Stefan Feld, Richard Garfield, Hjalmar Hach, Cole Wehrle uvm..

  • 8. Was ist denn dein Lieblingsbrettspiel?

Oh, das ist schwer. Es gibt so viele großartige Spiele, dass ich mich schwer tue, das eine Lieblingsspiel darunter zu benennen. Ich spiele auch gerne sehr unterschiedliche Spiele. Aber über die Jahre hat sich herausgestellt, dass die Spiele, auf die ich mich auch nach hunderten von Partien noch freue, wenn sie auf den Tisch kommen, sich flott und intuitiv spielen und dennoch interessante strategische Entscheidungen abverlangen: Citadels, Dominion, Colt Express, 7 Wonders, Puerto Rico.

  • 9. War es schwierig einen Verlag für diese Art Spiel zu finden?

Ich hatte zwar auch Kontakt mit ein, zwei anderen Verlagen, aber diese haben nach vorsichtigem Interesse recht frühzeitig abgesagt. Allerdings muss ich betonen, dass sich in der Brettspiel-Branche die allermeisten Verlage die Zeit nehmen, ihre Entscheidung zu begründen und man auch nach einer Absage mit wertvollem Feedback vorankommt. Da diese Absagen recht zeitig kamen, habe ich dann auch schnell zu den Heidelbären gefunden und ihr habt ja schon früh ernsteres Interesse an Time Division gezeigt. Insofern war die Verlagssuche in diesem Fall nicht besonders schwierig.

  • 10. Wie hat dir die Zusammenarbeit mit HeidelBÄR Games gefallen?

Die Zusammenarbeit mit HeidelBÄR Games war wirklich klasse, v.a. der Ideenaustausch mit Roland und im späteren Verlauf dann auch mit Sabine. Das hat mir immer viel Spaß gemacht: Da kamen von den Entwicklern immer wieder ganz neue Ideen, in welche Richtungen man noch denken könnte oder ob man nicht mehr Effekte eines bestimmten „Flavours“ bräuchte – oft Input, der mir vorher noch gar nicht in den Sinn kam. Ich habe dann versucht, diese Ideen umzusetzen, z.T. wurde dann daran noch gefeilt oder Roland und Sabine haben an neuen Karteneffekten gearbeitet und den wirklich coolen Kampagnen-Modus entwickelt und ich habe getestet. Also, der kreative Austausch war wirklich super. Aber da sind natürlich noch viel mehr Leute im Team, die alle einen tollen Job gemacht haben: Entscheidungen zum Material, zur Illustration, die Symbolsprache, die eigens für das Spiel entwickelt wurde – das ist meilenweit von der weißen Text-Einöde entfernt, die ich den Heidelbären als Prototyp zugemutet habe (siehe das Bild rechts). Und aktuell ist die Zusammenarbeit, gerade auch mit der PR-Abteilung, wieder intensiver wegen Essen. Dahingehend fühle ich mich auch super von Micha betreut. An der Stelle also vielen lieben Dank an das gesamte Team.

  • 11. Wie zufrieden bist du mit dem visuellen Design des Spiels?

Als ich die Karten zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich direkt in das Design verliebt. Das sieht weit besser aus, als ich es mir vorstellen konnte. Und das Design erstreckt sich ja auch auf das Spielbrett und unterstützt dabei auch noch die Spielbarkeit.

  • 12. Was macht für dich dein eigenes Spiel so besonders?

Zum einen, wie du schon angesprochen hast: Es ist ein flottes Spiel mit sehr einfachen Regeln, das dennoch strategisch herausfordernd ist. Darüber hinaus ist es ein Spiel mit einer interessanten Grundstimmung: Man muss ständig seinem Gegner etwas gönnen (entweder Punkte oder einen Karteneffekt) und dennoch kann es wechselseitig sehr fies werden.

  • 13. Welche Hürden musstest du bei der Veröffentlichung deines Spiels überwinden und wie hast du das geschafft?

Ich denke, die größte Herausforderung war, eine Symbolsprache für die teils komplexen Karteneffekte zu finden, denn ursprünglich habe ich alle Karteneffekte in Textform auf die Karten geschrieben. Da brauchten wir eine praktikable Lösung und daran hat das Team auch lange gefeilt. Aber letztendlich wurde eine gute Lösung gefunden. Die Symbole sind nämlich intuitiv zugänglich, wenn man sich darauf einlässt – auch weil sie mit Symbolen auf dem Spielbrett korrespondieren.

  • 14. Welche Erfahrungswerte konntest du aus dem gesamten Prozess ziehen, die dir für dein nächstes Spiel helfen könnten?

Da gibt es eine Menge Kleinigkeiten, die einen großen Unterschied machen können. Wenn man beispielsweise Karteneffekte einbaut, wäre es sinnvoll schon selbst mit einer vorläufigen Symbolsprache zu arbeiten – das erleichtert den Zugang. Das ist aber nur eines von unzähligen Details, die mir während des Entwicklungsprozesses bewusst geworden sind und die ich bei künftigen Ideen berücksichtigen werde.

  • 15. Es gibt also schon eine Idee für ein neues Spiel von dir?

Tatsächlich köcheln bei mir ein paar Ideen – auf unterschiedlichen Herdstufen. Aber da will ich noch nicht zu viel verraten.

  • 16. Hast du denn abschließend noch einen Tipp für angehende Spieleentwickler?

Da Time Division mein erstes veröffentlichtes Spiel ist, sehe ich mich selbst noch als angehenden Spieleentwickler. Insofern könnte ich solche Tipps auch gut gebrauchen. Aber da ich auch schon vor 15 Jahren Spiele entwickelt habe, die z.T. grottig waren, habe ich vielleicht doch ein paar Erfahrungswerte weiterzugeben. Der größte Fehler, den ich bei meinen ersten Laufversuchen gemacht habe, war zu glauben, mehr sei besser. Wenn man aber in jedem Zug 20 verschiedene Handlungsmöglichkeiten hat, erhöht das selten den Spielspaß. Vielmehr führt dies zu vermeidbaren Längen, weil alle Spieler ständig hart am Grübeln sind. Man sollte also als Spieleautor gewissenhaft prüfen, welche Optionen man den Spielern wirklich gewähren möchte, welche Aktionsmöglichkeiten das Spiel wirklich braucht und worauf man zur Not auch verzichten kann. Lieber nur 2 oder 3 Optionen, die aber zu sehr unterschiedlichen Spielerlebnissen führen. Zumindest sind das meine 5 Cent. Aber Hauptsache, ihr habt Spaß! 😉

  • Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast unsere Fragen zu beantworten. 🙂

September, 2023