Interview mit Christwart Conrad (Snatch It!)
Christwart Conrad, 1957 in Bad Godesberg geboren, ist seit Jahrzehnten in der Spieleszene aktiv – als Rezensent, Autor, Redakteur, Seminarleiter und aktiver BoardGameGeek-Contributor. Als Autodidakt hatte er nie einen „normalen“ Job, sondern war immer vielseitig selbstständig. Auch wenn er nun offiziell Rentner ist, tut dies seinem Tatendrang keinen Abbruch.
Bei HeidelBÄR Games ist im Sommer 2024 sein neustes Kartenspiel Snatch It! erschienen. Wir haben Christwart ein paar Fragen gestellt:
Das klingt ja spannend! Was heißt denn „vielseitig selbstständig“?
In der Spieleszene kennen mich wohl die meisten durch meine Tätigkeit für das Magazin spielbox, für das ich seit Jahren rezensiere, lektoriere und immer wieder Varianten veröffentlichter Spiele vorstelle. Außerdem organisiere ich seit vielen Jahren Prototypen- und Autorenseminare, deren Teilnehmer immer wieder erfolgreich publizieren, sowie klassische Spielewochenenden. Als Autor habe ich Spiele bei verschiedenen Verlagen veröffentlicht, darunter auch einige Carcassonne-Erweiterungen, die größtenteils Beilagen der spielbox waren. Jenseits des Spielens organisiere und leite ich außerdem Folkloretanztage und setze mich für die deutsche Sprache ein.
Was begeistert dich an Spielen?
Mein besonderes Interesse liegt darin, herauszufinden, welche Spiele die gleiche Grundidee haben, und in der Beobachtung, wie sich existierende Spiele durch Erweiterungen, Varianten und Neuauflagen über die Jahre hinweg verändern. Außerdem gefällt mir das Simulieren: Ich darf eine spannende Rolle mit verpönten Eigenschaften einnehmen, die – im Idealfall – nach der Partie nicht sanktioniert wird (auch wenn sie es manchmal doch wird).
Und das Ausloten von Möglichkeiten. Was geht, was geht gerade noch, was nicht mehr? Das bezieht sich sowohl auf die Mechanismen als auch auf die Mitspieler.
Was ist dein Lieblingsspiel?
Um genau ein Lieblingsspiel zu benennen, kenne ich einfach zu viele. Es gibt aber viele, die ich sehr gern und immer wieder spiele. Ich mag prinzipiell taktische Großgruppenspiele und abstrakte Spiele. Außerdem ist für mich die Interaktion der Spieler untereinander sehr wichtig. Daher schätze ich Biet- und Versteigerungsmechanismen bzw. Preismanipulationen oder simultane Entscheidungen, bei denen man die Taktik der anderen Spieler einschätzen muss. Ich mag aber auch kreative Spiele wie z. B. das Partyspiel LINQ. Gelungene Interaktion zählt für mich mehr als Optimierung, der ich jedoch auch einiges abgewinnen kann. Wer es ganz genau wissen möchte, kann aber einfach in der spielbox nachlesen, welche Spiele ich hoch bewerte.
Wie kam es zu „Snatch it!“?
Die erste Idee kam mir ungelogen im Traum. Alle verfügen anfangs über wenige Ressourcen und wollen diese vermehren, indem man sich darum streitet. Irgendwann geht dann einer als Sieger aus der Schlacht hervor. Das war zwar noch lange kein Spiel, aber tatsächlich war das der erste Impuls für meinen „Schnappen“-Prototyp. Diesen habe ich bereits in einem recht frühen Stadium Roland aus der HeidelBÄR-Redaktion gezeigt und danach immer wieder die Überarbeitungen vorgestellt. Damals war noch lange nicht klar, ob es das Spiel tatsächlich zur Veröffentlichung schaffen würde. Es war ein intensiver Prozess, der sich über zwei Jahre hinzog, bis dann klar war: Ja, dieses Spiel hat HeidelBÄR Games überzeugt und erscheint dort. Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Sogar zu schnell! Ich hätte gerne noch mehr Zeit gehabt, um die finalen Regeln und die Grafik mit verschiedenen Spielegruppen zu testen, aber es sollte plötzlich in wenigen Tagen in den Druck gehen. Ich hoffe, dass in einer Folgeauflage eine Version für 2 Spieler hinzugefügt wird. Thema und Gestaltung wurden von den HeidelBÄRen entwickelt, wobei bereits der Prototyp einen Teich hatte – nur mit Krokodilen statt Fröschen, so weit ist das also gar nicht entfernt. Das finale Spiel scheint rundum gut anzukommen, was mich natürlich sehr freut. Auf der Messe erklärte mir eine Spielerin, sie sei nach wenigen Runden in das Spiel „schockverliebt“ gewesen. Das geht natürlich runter wie Butter und lässt hoffen, dass es keine Eintagsfliege wird.
Was macht für dich Snatch it! so besonders?
Tatsächlich die Interaktion. Man kann sehr viel beobachten, spekulieren, hoffen und bangen. Ich finde den Ärgerfaktor wohldosiert. Für Mimosen wird er zu hoch sein, aber ansonsten kann man sich am Hin und Her der Beutetiere auch dann erfreuen, wenn man schlussendlich nicht gewinnt. Vor allem aber dauert eine Partie nicht ewig, sondern ist sehr kurzweilig.
Für wen (welche Gruppen) ist Snatch it! das perfekte Spiel?
Snatch it! kommt gerade bei Spielern gut an, die nur sporadisch spielen. Es bietet ein hohes Maß an Geselligkeit. Alle sind involviert und können Spaß haben. Innerhalb der Szene eignet es sich gut als sogenannter „Absacker“.
Hast du noch weitere Spielideen?
Ja, mehr, als ich intensiv verfolgen kann. In den letzten Jahren habe ich ein verstärktes Interesse an Kartenspielen entwickelt, das ist aber nicht zwingend. Koop-Spiele sind eigentlich nicht meine Priorität, aber auch hier gilt: Keine Regel ohne Ausnahme. Außerdem entwickle ich gemeinsam mit anderen Autoren, woraus sich bislang aber noch keine Veröffentlichung ergeben hat.
Was war dein erstes Spiel, das du entwickelt hast?
Von den publizierten: Vino, das ich speziell für den deutschen Stand bei einer Expo entwickelt hatte – mit deutschen Weinen. Man hat es mir damals kommentarlos zurückgeschickt. Beim Hippodice-Wettbewerb machte es dann im zweiten Anlauf den ersten Preis.
Du bist schon lange in der Spieleszene aktiv – wie hat sich die Spiellandschaft im Laufe der Zeit verändert?
In den vergangenen Jahrzehnten ist viel passiert. Anfangs war ich ein Exot, ein Verrückter, der sich an Wochenenden mit anderen zum Spielen traf. Wir haben nicht nur Brettspiele gespielt, sondern auch Bewegungsspiele, sogenannte „New Games“, und waren viel draußen. Und natürlich waren wir viel jünger. Gemeinsam mit Uwe Mölter (Agentur Vielfalt, später Fachhandelsverkäufer und Redakteur), der ebenfalls ein Seminar geplant hatte und noch nach Teilnehmern suchte, habe ich 1983 ein Wochenende veranstaltet, das eine Kombination aus Tisch- und Sportspielen war, die ich teilweise selbst ausgedacht hatte. Damals gab es viel weniger Scheu vor Körperkontakt. Expertenspiele mit einer Spielzeit von über drei Stunden wurden aus Großbritannien und den USA importiert. Für manche habe ich gegen Naturalien (natürlich Spiele) die Regeln übersetzt. Aber auch Familienspiele haben wir bei einschlägigen Versendern bestellt, etwa Hextension, das erst viel später von Ravensburger als Take it Easy lizenziert wurde.
Die Akzeptanz, dass Spielen nicht nur für Kinder ist, hat sich deutlich gesteigert – auch wenn immer noch eine Mehrheit dies bezweifelt. Die Globalisierung hat dafür gesorgt, dass Autoren und Verlage weltweit präsent sind und eine Vielzahl an Spielen in verschiedenen Lokalisierungen vermarktet werden. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Frankreichurlaub in den 80ern, als ich einen Spieleladen mit mir völlig unbekannten Spielen entdeckte, während Heimisches dort weitgehend fehlte. Heute liegt die Übereinstimmung bei mindestens 90%.
Nach wie vor gibt es natürlich die Klassiker, aber ihr Anteil am Gesamtmarkt ist zurückgegangen. Es ist inzwischen sehr wahrscheinlich, dass neue Bekannte dieselben Spiele kennen. Es gibt viel mehr Veranstaltungen, Wettbewerbe, eine weltweite Community, aber auch große Fangruppen spezifischer Spiele, die sich organisiert haben.
Welches Spiel hätte deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient?
Abgesehen von den eigenen erfundenen und redigierten Spielen: Ein einziges zu nennen wäre zu einseitig, daher formuliere ich die Frage um: Welches Genre? Und da sind es die abstrakten Spiele, die bei BGG per se als „underrated“ gelten.
Wenn du an HeidelBÄR Games denkst, was fällt dir sofort ein?
Eine Person: Harald Bilz (eine starke Persönlichkeit). Ein Objekt (Nichtspiel): die Burg.
Welches Spiel verbindest du mit uns?
Snatch it!
Welche Spiele könntest du (fast) immer spielen?
Bluff, Doppelkopf, Q.E., Puerto Banana, TransAmerica (das ich mit drei weiteren Kollegen in Form gegossen habe), eigene Spiele (außer Snatch it! vor allem Franchise und Nuggets), viele neue (Über-)Stichspiele, LINQ.
Zum Abschluss haben wir noch ein paar schnelle Fragen:
Welche Farbe hat deine Spielfigur?
Blau
Welches Spiel sollten alle mal gespielt haben?
Rezensieren oder entwickeln, wofür würdest du dich entscheiden?
Warum muss ich mich entscheiden?
Familienspiel oder Kennerspiel?
Kommt drauf an.
Kooperativ oder Konfrontativ?
Das Setting des Spielens (das Meta-Spiel) ist immer kooperativ (sonst funktioniert es nicht), im Spiel ziehe ich Kompetitivität eindeutig vor.
Snacks beim Spieleabend?
Nur, wenn das Spiel nicht meines ist. Im Ernst: Ich versuche, von diesem ungesunden Stil wegzukommen, das Sitzen am Tisch ist ja auf die Dauer auch schon problematisch. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Und der Erfolg eines Spieleabends ist vom Blutzuckerspiegel nicht ganz unabhängig…
Salzig oder süß?
Süß
Welche Spiele spielst du aktuell oft?
Die, die ich in Kürze rezensieren werde und die, die ich gerade entwickle.
Nenne ein Spiel von HeidelBÄR Games?